Studentische Arbeiten finden Anerkennung im Museum

Josef-Lauten-Stiftung förderte das Projekt SITZEN+

Nur wenigen Künstlern und Designern ist es vergönnt, für ihr Schaffen museale Anerkennung zu bekommen. Und den Meisten dieser Wenigen verleihen die Kulturverantwortlichen diese Ehre erst posthum. Ganz anders in Detmold. Das Lippische Landesmuseum stellt noch bis zum 26. Februar 2012 in der Sonderausstellung SITZEN+ die von der Josef-Lauten-Stiftung geförderten Arbeiten von Studierenden der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur aus. Insgesamt zehn junge Menschen fanden so bereits vor Abschluss ihres Studiums mit ihrem Design Eingang in die Museumswelt.

Wie es dazu kam, ist schnell erzählt. Professor Ulrich Nether, der stellvertretend für Professor Herbert-Jakob Weinand an der Kuratoriumssitzung der Josef-Lauten-Stiftung am 2. Februar 2011 in Köln teilnahm, präsentierte sein Projekt SITZEN+ und fand bei den Kuratoren einstimmige Anerkennung, die zur Förderung des Projektes nötig ist.

Die Idee von Professor Ulrich Nether überzeugte durch ihre Logik. Nether: „Wenn wir sitzen, dann sitzen wir meist nicht nur, sondern wir sitzen, um zu arbeiten, um zu essen, um auszuruhen. Dazu werden oft zusätzliche Möbel wie Tische oder Leuchten benötigt.“ Als Basis für ihre Entwürfe erhielten die Studierenden des 5. Semesters den von der Firma Stoelcker in Ettenheim zu Sonderkonditionen erworbenen, so genannten Frankfurter Stuhl, der als Klassiker unter den Küchen- und Bürostühlen gilt. Im Zuge des Projektes SITZEN+ schufen die zehn Mitglieder der Projektgruppe eigenwillige Kreationen, die dem Frankfurter Stuhl eine veränderte Identität gaben oder seiner ursprünglichen Sitzfunktion das geforderte Plus hinzufügten.

Die puristische Form des in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts geschaffenen Stuhls mit seiner damals neuartigen Vorderbeinkonstruktion stellte das Projektteam vor kreative Herausforderungen. Wiebke Schäfers zersägte Sitzfläche und Rückenlehne in jeweils fünf Teile, um sie dann im Gitterraster wieder zusammenzufügen. Ihre Story: „Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, den Stuhl so umzubauen, dass auch ein etwas korpulenterer Mensch bequem darauf sitzen kann.“ Konsequent ist der von ihr geschaffene Stuhl auseinanderzuziehen oder wieder zusammenzuschieben. Eduard Prediger nahm dem Klassiker die Vorderbeine und ergänzte den verbliebenen Torso um ein mattschwarzes Untergestell und eine auf einem Spielplatz ausgemusterte starke Stahlsprungfeder. „Das dynamische Sitzen fördert den Gleichgewichtssinn und stärkt die Wirbelsäule, wie man es bereits vom Sitzball kennt“, sagt der Jungdesigner dazu.

Franziska Stenz dagegen machte aus dem Vorbild einen Klappstuhl, der die Vorderbeine unter der Sitzfläche einklappt und die Sitzfläche flach an die rückwärtigen Füße und Rückenlehnenstütze anlegt. Ein Ausschnitt in der Rückenlehne soll den Transportkomfort ebenso wie Rollen an den hinteren Beinen erleichtern, damit der Besitzer seinen Stuhl nicht mehr oder nirgendwo mehr missen muss. Einen ähnlichen Denkansatz realisierte auch Eva Christine Becker, die den Stuhl komplett zerlegte, um die Einzelteile über Steckverbindungen wieder zusammensetzen zu können. Je nach Bedarf können über diese Verbindungstechnik ein Kindersitz, verschiedene Tischaufsätze oder Armlehnen aufgesteckt werden.

Laura Stark wählte als Lösung einen eigenen Denkansatz. „Mein Lieblingsplatz zum Nachdenken ist der Frankfurter Stuhl, ein einfacher Holzstuhl, in meinem Zimmer. Durch seine Formgebung sitze ich aufrecht, was mir beim Grübeln hilft.“ Doch ihr starkes Nachdenken forderte Entspannung, wofür sie sich mit einem selbst genähten Sitzsack ein zusätzliches Sitzmöbel gestaltete, „das so meinen Denkplatz ergänzt.“

Witzig klingt auch die Geschichte von Yuriy Mulyava. Mit seinem „Frankfurter Zentaur“ will er Vorgesetzten, Kollegen und Außenstehenden Anwesenheit vortäuschen, dass der illusorische Traum einer 24-stündigen Dienstbereitschaft wahr werden kann. So stülpt er der Rückenlehne eine Puppe mit Kopf und ohne Unterleib über, setzt sie vor den Schreibtisch und schafft die Vision eines unermüdlichen Schreibtischtäters.

Anna Spichalsky interpretiert ihr Objekt als künstlerische Arbeit mit dem Thema „Schattenspiel“. Der Besucher soll das Objekt für sich definieren und die einzelnen Schatten des Frankfurter Stuhls wahrnehmen. Martin Tintelott schließlich diente das klassische Vorbild als Anregung. Sein Ansatz: „Wie kann man den Betrachter dazu bewegen, das gesamte Design und die damals neuartige Vorderbeinkonstruktion zu entdecken?“ Seine Projektarbeit fand als Maßstabssprung statt. Die Miniaturisierung aller Einzelteile in einem ZoomIn Kit regt an, den Stuhl selber zusammenzubauen und ihn so detailliert kennenzulernen.

Sehr dicht an der Aufgabenstellung entwickelte letztlich Ilka Müller ihre Arbeit. Sie schuf aus alten Einzelteilen des Frankfurter Stuhls ein Lampe, eine Armlehne mit Buchablage, Kufen für einen Schaukelstuhl und eine extra Rückenlehne für Jacke und Hose. Alle Teile sind individuell durch Flügelmuttern anzubringen oder abzunehmen. „Bewegung schafft Veränderung“ titelte sie als Antwort auf die Vorgabe. Und Leonie Scheunemann schuf eine Konstruktion, die frei hängend den Betrachter herausfordert, den Stuhl in seiner Bewegungsfreiheit zu interpretieren. Stuhl und Rahmen sind durch Achsen miteinander verbunden, welche eine Drehung um je 360 Grad ermöglichen.

Diese mit Charme und Witz gestalteten Projekte erfüllen die Aufgabe, die Stuhlsammlung des Lippischen Landesmuseums durch wechselnde Ausstellungen zu beleben. Die 1989 mit der Möbelsammlung Alexander von Vegesacks, Direktor des Vitra-Design-Museums in Weil am Rhein, ins Leben gerufene Sammlung wird zurzeit von Professor Ulrich Nether im Auftrag der Hochschule OWL betreut. Das von der Josef-Lauten-Stiftung geförderte Projekt SITZEN+ kommt in dieser Kombination sicher zu Recht zu besonderer Geltung.