Den am Bauprozess Beteiligten fehlen Kenntnisse und Erfahrungen

Bund strebt nach Vorreiterrolle bei Energieeffizienz-Immobilien

Dipl.-Ing. Architektin Annette von Hagel begleitet in der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und zuvor im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung seit zehn Jahren das Thema Nachhaltiges Bauen. Ihr für den Fachkongress Energieeffizienz am 13. September in Rheda-Wiedenbrück angekündigter Vortrag benennt die anspruchsvollen Ziele der EU und des Bundes. Vorrangig geht es dabei darum, den Energieverbrauch von Gebäuden zu reduzieren, die in der EU rund 40 Prozent der Endenergie verbrauchen. Die Bundesimmobilien, von denen drei Prozent pro Jahr energetisch saniert werden sollen, sind verpflichtet eine Vorreiterrolle einzunehmen. „Die Vorbildfunktion dient vor allem auch dazu, dass die zur Erreichung der Ziele notwendigen Technologien entwickelt bzw. weiterentwickelt werden und zur Marktreife gelangen, um so bei den nicht öffentlichen Baumaßnahmen zu erschwinglichen Preisen auch tatsächlich Anwendung zu finden“, resümiert Annette von Hagel. Vieles geschieht, doch der Weg zum Ziel scheint noch sehr lang zu sein, wie das Vorgespräch erkennen lässt.

Frage: Frau von Hagel, die EU hat mit ihrer 20-50-20 Energie- und Klimapolitik, nach der der Energieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent zu senken, die Treibhausgas-Emission um 50 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern und die Erneuerbaren Energien auf 20 Prozent am Gesamtenergieverbrauch bis 2020 auszubauen sind, die Messlatte außerordentlich hoch gesetzt. Hinzu kommen noch weitere Ziele der Bundesregierung sowie der nationale Ausstieg aus der Atomenergie. Wie stehen Sie zu dieser Zielsetzung?

Annette von Hagel: Die Ziele sind eine gewaltige Herausforderung an die Öffentliche Hand, sie bieten aber auch eine große Chance für die Zukunftsfähigkeit und Innovationskraft der Immobilienbranche. So sollen ab dem Jahr 2020 alle Neubauten klimaneutral sein. Um das zu erreichen, müssen noch einige Weichen gestellt werden, denn viel Zeit bleibt nicht mehr. Von Vorteil ist, dass die Bundesregierung technische Innovationen unterstützt und finanzielle Anreize setzt.

Frage: Eine Reihe von bereits realisierten Effizienzhäusern, die bilanziert über das Jahr mehr Energie erzeugen als sie selbst verbrauchen, zeigt doch, dass die Umsetzung von energieeffizienten Gebäuden kein Problem mehr sein kann. Warum geht es nicht schneller voran?

Annette von Hagel: Tatsächlich existiert die fehlende Akzeptanz auf breiter Ebene. Darüber hinaus fehlt es schlicht an den Kenntnissen und der praktischen Erfahrung der am Bauprozess Beteiligten, die dringend intensiv geschult und weitergebildet werden müssten. Aus diesen Gründen nimmt die EU den Bund als Eigentümer der öffentlichen Bauten besonders in die Pflicht und fordert, dass die Rolle als Vorbild verantwortungsvoll übernommen wird. Deshalb werden die EU-Richtlinien und nationalen Gesetze für die Öffentliche Hand schrittweise bis Januar 2019 wirksam, für nicht öffentliche Gebäude erst zwei Jahre später.

Frage: Die großen Auslöser für die gesetzlichen Maßgaben waren sicher die Ölkrise, die Erderwärmung und der Super-GAU in Fukushima. Liegt denn die Lösung allein in der Reduzierung des Energieverbrauchs?

Annette von Hagel: Innovationen erfordern Kreativität und Ideenreichtum, die vor allem in Krisenzeiten entstehen. Derartige Herausforderungen muss man als Chancen begreifen. Es empfiehlt sich tatsächlich ein intelligenterer, sparsamerer Umgang mit Ressourcen und Energien, wobei der Betrachtungshorizont nicht wie bisher lediglich auf den Verbrauch von Energie im Gebäudebetrieb fokussiert ist. Der Energie- und Ressourcenverbrauch wirkt sich vielmehr im gesamten Lebenszyklus von Gebäuden aus. Das heißt also auch, dass die energetische Sanierung eines Gebäudes, um Energieverluste im Betrieb zu verringern, immer dann fragwürdig ist, wenn für den Transport von Baumaterialien und die Herstellung des Gebäudes das Mehrfache an Energie verbraucht wird.

Frage: Können Sie dafür Beispiele benennen?

Annette von Hagel: Betrachtet man die Umweltbelastung über die gesamten Baumaßnahmen sowohl im Tiefbau, Hochbau und dem Ingenieurbau unter dem Gesichtspunkt der CO2 Emission durch Graue Energie am Beispiel des Betons, dann wird ersichtlich, wie entscheidend die Lebenszyklusbetrachtung einer Immobilie ist und nicht nur die Betrachtung eines zeitlich definierten Ausschnitts.

Eine weitere nicht zu unterschätzende Größe ist der Anteil des Abfallaufkommens durch Bautätigkeiten und Abbrucharbeiten, der in Deutschland bei rund 52 Prozent des gesamten Abfallaufkommens liegt.

Frage: Wie wird darauf reagiert?

Annette von Hagel: Die Risiken für die Umwelt sind letztlich nicht kalkulierbar. Deshalb trat am 1. Juli 2013 die EU-Bauproduktenverordnung in Kraft, die die konkreten Deklarationen der verwendeten Bauprodukte einfordert. Als Konsequenz daraus folgt, dass eine umfassende Dokumentation im Lebenszyklus einer Immobilie vorhanden sein und fortgeschrieben werden muss, so dass bereits bei der Planung und Umsetzung einer Baumaßnahme die Aspekte des Rückbaus bei Modernisierung und Sanierung sowie Abriss beachtet werden müssen.

Sobald man den Blick vom Energieverbrauch während der Nutzungsphase auf die Gesamtheit und Komplexität einer Immobilie lenkt, wird offensichtlich, dass der Lebenszyklus von der Rohstoffgewinnung bis zum Recycling im Mittelpunkt stehen muss. Nur so lässt sich das Zusammenwirken aller Aspekte optimieren.

Frage: Welches Fazit ziehen Sie aus diesen Erkenntnissen?

Annette von Hagel: Lassen Sie mich das zu zwei Themen zusammenfassen. Energieeffizienz ist ein Teilaspekt des Nachhaltigen Bauens, denn ohne das Nachhaltige Bauen ist eine wirksame Reduzierung des Energiebedarfs nicht realisierbar.

Zum Zweiten sind das Facility Management und inzwischen festgeschriebene Zertifizierungen zwei sich ergänzende Betrachtungen, die beide den Lebenszyklus in den Mittelpunkt stellen. Die in diesem Zusammenhang zu erstellenden Gutachten über eine Immobilie beziehen deren Qualitäten, Materialien, Belastungen für die Umwelt, soziale Verträglichkeit und Flächenverbrauch und vieles mehr mit ein.

Das Thema ist letztendlich viel komplexer, als es sich in Schlagzeilen liefernden Themen vermarkten lässt.

Zur Person:
Dipl. Ing. Annette von Hagel studierte an der Technischen Universität Darmstadt Architektur. Von 1985 bis 1992 war sie als IT-Consultant und IT-Trainerin für den Maschinen- und Anlagenbau tätig. Seit 1990 ist sie im Facility Management aktiv. Sie wechselte zu JSK Architekten in Berlin und arbeitete dort als Leiterin IT und Architektin. Ab 1995 war sie als selbständige Architektin tätig und beriet die Bauherren in Facility Management-Projekten.
Seit 1998 lehrt sie als Dozentin Facility Management an verschiedenen Fachhochschulen in Österreich und Deutschland. Mit dem Wechsel in den öffentlichen Dienst zur jetzigen Bundesanstalt für Immobilienaufgaben im Jahr 2003 führte sie das lebenszyklusbezogene Facility Management in die Neubauvorhaben der Bundesimmobilien ein und begleitet seit 2003 das Thema Nachhaltiges Bauen und eine Vielzahl von Forschungsaufträgen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Forschungsinitiative Zukunft Bau.
Verbands- und Gremienaktivitäten
• Sprecherin des DENEFF-Beirates – deren Ziele die maximale Reduktion des Energieverbrauchs durch Effizienz, Technologieneutralität und die Schaffung von Rahmenbedingungen für Effizienzdienstleistungen sind,
• Mitglied des Komitees des jährlichen Facility Management Kongresses Messe Frankfurt am Main
• Mitglied der Prüfungskommission der Ingenieurkammer Hannover des staatlich geprüften und vereidigten Sachverständigen Facility Management
• Mitglied des Lenkungskreises der Leitmarktinitiative LED des BMU
• Mitglied der Architektenkammer Berlin und der IFMA Österreich
Weitere Informationen zum Kongress: www.fachkongress-energieeffizienz.de